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Ein Salto ist eine körperliche Entfaltung in Raum, Zeit und Dynamik: Er beginnt mit dem Absprung in die Höhe, geht dann über in die enge Flugrolle und endet mit der Streckung bei der Landung. Weil ein Salto eine schnelle Bewegung gegen die Schwerkraft ist, kann der Zuschauer den Bewegungsablauf nur in seiner Imagination wiederholen.

Ein Reisender bewegt sich von seinem Startpunkt zu seinem Zielpunkt auch in Raum und Zeit, wobei sich diese Punkte durch die Nennung von Koordinaten definieren lassen. Diese Ortsangaben sind möglich, weil man sich auf zwei Linien geeinigt hat.So wird die eine fiktive Linie, die durch die Sternwarte von Greenwich hindurchgeht, der Nullmeridian genannt.

Diese Linie wählten Stéphan Barron und Sylvia Hansmann als Route fur ihre Reise: Sie begann in dem Ort Villers-sur-Mer an der Seinebucht, und sie endete nach dreizehn Septembertagen in Castellon de la Plana am Golf von Valencia. Während der Reise sendeten die beiden Künstler einhundertundsechs Telefaxe an acht Empfangerstationen indenStadten Linz, Köln,Gerona, Paris, Rennes, Ceret, Amiens und Coutances. Fur die Herstellung der Originale, die dann gesendet wurden, verwendeten die Künstler an ihren jeweiligen Standorten diverse Fundsachen, Polaroidfotos und eigene Zeichnungen.

In ihrer kreativen Arbeitsweise haben Barron und Hansmann zwei Projektionen miteinander verknüpft: Die Reiseroute verlief entlang einer imaginaren Linie, mit deren Hilfe die Abbildung der Erdobertläche in einer Ebene erst möglich wird. Es ist eine klassische Projektionsweise ! Die Reisebotschaften wurden mit Hilfe von elektronischen Daten auf das Thermopapier in den Empfangerstationen projeziert. Es ist eine zeitgenossische Projektionweise ! Beide Techniken besitzen jedoch trotz ihrer unterschiedlichen Erscheinungsformen fulminante Gemeinsamkeiten: Sie setzen Netze voraus, nämIich den Gradnetzglobus einerseits und das Telekommunikationsnetz andererseits. Zugleich gehört zu ihnen untrennbar der Begriff der Geschwindigkeit, jenem Verhaltnis der Bewequng im Raum zur Zeit. Zur geographischen Projektion zahlen Geschwindigkeiten, die noch vorstellbar sind. Dagegen bewegt sich die elektronische Projektion von Botschaften vom Sender zum Empfänger mit der unvorstelibaren Lichtgeschwindigkeit.

In der Verknüpfung eines Elementes der klassischen Projektionstechnik (Nullmeridian) mit einer zeitgenössischen Projektionstechnik (Telefax) gelingt den beiden Künstlern die Darstellung einer zentralen These von Paul Virilio: "Man muB sich um die Zeit kummern und nicht nur um den Raum. Bis heute hat ja der Raum die Zeit beherrscht, die Geographie, die Kilometer".Und der Golfkrieg und seine Nach

wirkungen zeigen präzise die Interessenverschiebungen, die in dieserThese liegen...

Die Reise entlang einer fiktiven Linie und das Senden von Lebenszeichen früher waren es ja Ansichtskarten - soll in einerweiteren Sichtweise betrachtet werden: Das Projekt von Stéphan Barron und Sylvia Hansmann hat nach ihren eigenen Aussagen seinen Ursprung in der Höhlenmalerei der Dordogne. Hier - mit den Höhlenbildern von Lascaux - beginnt fur Georges Bataille die Kunst. Die Höhlenbilder sind Botschaften aus einer zwanzigtausend Jahre alten Vergangenheit, die uns heute erreichen. Sie sind von einerAura der Bestandigkeit begleitet. Ein Telefax - hier als Kunstwerk gesehen - ist von der Ästhetik des Verschwindens (Virilio) umgeben. Dennoch: Höhlenmalerei und Telefax sind gleichermassen Zeichen von Existenzen. Es sind Zeichen an einen Anderen.

 

Jurgen Engel

Artist Kunstmagazin Bremen